Verlogene Inklusion?

Hervorgehoben

Zwei Meldungen aus dem Bereich Lebensschutz (im weiteren Sinne) ließen dieser Tage aufhorchen:

  1. Ca. 90 % der Ungeborenen, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mit einer sog. schweren Behinderung zur Welt kommen, werden in der ‚westlichen Welt‘ abgetrieben.
  2. Brandaktuell: Ein australisches Paar ließ gleichsam eine Leihmutter im Stich. Das gesunde Kind nahmen die beiden, den Zwillingsbruder mit Behinderung soll die Leihmutter behalten.

Dies zeigt, dass Texte des römisch-katholischen Lehramts wie »Humanae vitae« tatsächlich prophetische Rede sind, ganz besonders aber auch der Einsatz des Hl. Johannes Paul II.
Es zeigt aber auch, dass das – sit venia verbo – Inklusionsgelaber unserer Tage auf tönernen Füßen steht und leider auch hier mehr gefühlt als gedacht wird, mehr Emotion als Kognition, mehr moralisch-ideologisches Engagement als durchdachte Argumentation im Spiele ist. Weiterlesen

Slowenischer Rundfunk lobt Benedikt XVI.

Am vergangenen Donnerstag, 5. Januar, staunte ich nicht schlecht, als ich die Talk-Sendung „Studio um 17 Uhr“ im 1. Programm des Slowenischen Rundfunks hörte. Wenige Stunden zuvor war Papst em. Benedikt XVI. beigesetzt worden.

In der Gesprächssendung von Radio Slovenija ging es um den Theologen Joseph Ratzinger und seine jahrzehntelange Publikationstätigkeit, um sein Pontifikat als Benedikt XVI. und die Bedeutung des „revolutionären Amtsverzichts“. Dieser wurde von den Studiogästen – einer Journalistin und zwei Theologen – einhellig so gedeutet: Benedikt XVI. hat gerade durch diesen Akt nochmals deutlich werden lassen, worin sein theologisches Lebenswerk besteht: Alle, die „zu einem Dienst in der Kirche bestellt sind“, sind dies vorläufig. Letztlich ist es Christus, der nicht nur beruft, sondern der durch die Bediensteten schlussendlich immer selbst wirkt. Wir alle, bis hinauf zum Papst, sind ersetzbare Eingesetzte. In seinen kurzen Antrittsworten am 19. April 2005 hatte der Neugewählte es ja gesagt: die Tatsache tröste ihn, dass der Herr mit ungenügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu agieren weiß.

Vielleicht konnte nur einer, der Christologie, Ekklesiologie und Papst- bzw. Kirchengeschichte so gründlich kannte und mit den Regeln so gut vertraut war wie Benedikt XVI., diesen Schritt wagen und das Amt auf diese Weise entsakralisieren. Tritt ein Papst zurück, wird er ja nicht einfach ‚Ruheständler‘, zieht sich jedoch aus den aktiven Verpflichtungen zurück, wie ein alt und gebrechlich gewordener Vater ja auch seine Vaterschaft nicht einfach hinter sich lässt, wohl jedoch Aufgaben praktischer Art den Jüngeren, Kräftigeren überlässt. Für diesen Mut, den dramatischen Schlusspunkt eines insgesamt mutigen Pontifikats, wie auch für die Amtszeit selbst gab es Lob beim Slowenischen Radio.

. Päpste kommen und gehen. Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit. Das ist die Botschaft. Benedikt habe, so hieß es, Häme und Spott, aber auch ehrliche bittere Enttäuschung über moralische Missstände in der katholischen Kirche mit voller Wucht abbekommen und sie „demütig und mit Liebe zur Wahrheit“ getragen und aufgegriffen. Vieles habe dabei gar nicht ihm persönlich gegolten, sondern sich auf frühere Jahrzehnte bezogen. Der Papst sei der erste gewesen, schon als Kardinal, der im Gegensatz zu vielen Kurialen ehrliches Interesse, ehrliche Erschütterung gezeigt habe, als die Missbrauchsfälle in zunehmender Zahl gemeldet wurden. „Konservativ“ sei er höchstens in dem Sinne gewesen, dass er nicht von der Wahrheit lassen wollte, dass der historische Jesus und der verkündete und geglaubte Christus vernünftigerweise als identisch und authentisch zu betrachten seien.

Erstaunlich, diese klaren Worte gerade in einem durch und durch säkularen und oft betont kirchenkritischen Medium gehört zu haben.

Der Fall Marko Ivan Rupnik

Dr. Ivan Štuhec: Der Fall Rupnik

Dieser Artikel ist eine Übersetzung des Artikels in der slowenischen katholischen Zeitschrift „Družina“ ‚Die Familie‘, verfasst vom in Slowenien bekannten Moraltheologen Ivan Štuhec.

Der Fall Rupnik hat die globale katholische Welt und wahrscheinlich auch die säkulare Welt erschüttert.

Nach etwa einer Woche der Spekulationen hat der Weihbischof von Rom, Daniele Libanori, der als geweihter Priester in den Jesuitenorden eingetreten ist, alle Zweifel und Bedenken ausgeräumt. Als Visitator der Loyola-Gemeinschaft lernte er die Kongregation von innen kennen und bestätigte, dass die Anschuldigungen gegen Marko Ivan Rupnik wahr sind. Unter anderem war er von 2004 bis 2018 Exorzist von Libanori.

Seit dem 4. Dezember kann man daher nicht mehr darüber spekulieren, was wahr ist und was nicht, noch weniger über den Kontext, in dem die Verlautbarungen zu sehen sind; und man braucht auch nicht mehr zu spekulieren über den einen oder anderen Hintergrund, der dazu geführt hat, dass eine ziemlich alte Angelegenheit ans Licht gekommen ist. Die ganze Geschichte ist in der Tat einer der schlimmsten Fälle, die in der katholischen Kirche aufgedeckt wurden. Vor allem aus zwei Gründen: Alle drei Missbräuche, der sexuelle, der psychische und der spirituelle, waren mit sakramentaler Tätigkeit und der Gründung einer neuen religiösen Gemeinschaft, der Loyola-Gemeinschaft, verbunden; und zweitens ist der Hauptprotagonist nicht irgendwer, sondern ein Jesuitenpater, der sein eigenes spezifisches ästhetisch-theologisches Denkgebäude mit der dazugehörigen Spiritualität entwickelte, was in seinen Mosaiken und Schriften in der ganzen Welt seinen wesentlichsten Ausdruck fand. Die Menschen, die ihm folgten, folgten ihm ganz, es war Ganzhingabe wie aus dem Lehrbuch. Das macht die Enttäuschung umso größer und fataler. Rupniks Präsenz war allumfassend, ja, total.

Zunächst ein paar persönliche Fakten

Marko Rupnik und die Loyola-Gründerin, Ivanka Hosta, sind beide Zeitgenossen von mir, teilweise auch Klassenkameraden an der Gregoriana in Rom. In den frühen 1990er Jahren wussten wir in der Kirche, dass es Differenzen zwischen ihnen gab. Dies ist weder das erste noch das letzte Vorkommnis dieser Art in der Praxis der charismatischen Bewegungen in der Kirche. Wahrscheinlich haben es die meisten Menschen auch so aufgefasst. Nachdem ich Rupniks Malerei von ihren Anfängen an verfolgt hatte, fiel mir auf, dass es nach dem Bruch mit Ivanka auch einen künstlerischen Bruch zwischen Rupnik und dem akademischen Maler Lojzet Čemažar gab. Letzterer wurde der „offizielle“ Maler der Loyola-Schwestern. Rupnik bewegte sich jedoch zunehmend von seiner ursprünglichen Abstraktion und dem Modernismus weg in den Bereich der östlichen Ikonographie auf modernistischem Hintergrund. Ich bin mir nicht sicher, ich nehme an, es war 2001, als ich bei meinem letzten längeren Aufenthalt in Rom war, dass ich beide traf und von beiden einen Teil der Gründe für die Trennung erfuhr. Meine Schlussfolgerung damals war einfach: Wenn zwei Menschen sich nicht versöhnen können – eine Ordensfrau und ein Ordensmann, für die Spiritualität an erster Stelle steht –, dann kann man einer solchen Spiritualität eben nicht folgen. Zu einem ähnlichen Schluss bin ich im Fall von Medjugorje gekommen. Wenn die Gottesmutter keine Versöhnung zwischen den Franziskanern und den Bischöfen von Mostar herbeiführen kann, dann ist mir nicht ganz wohl bei der Sache. Nach den jüngsten Informationen über den Fall Rupnik vs. Loyola-Schwestern Gemeinde ist mir klar, warum die Versöhnung nicht stattgefunden hat. Ich habe volles Verständnis für die Lage der Schwestern. Dabei erheben sich jedoch eine ganze Reihe von Fragen.

Man kann sagen, dass wir alle von der Unstimmigkeit zwischen den beiden Protagonisten wussten. Die oberste Spitze des Jesuitenordens wusste es, sowohl in Rom als auch in Slowenien. Abgesehen von der physischen Gewalt, von der sie vielleicht nichts wussten, zumindest nicht zu Beginn, ist es unverständlich, dass sie Rupnik eine solche globale Reichweite zugestanden haben, ohne zunächst die Frage zu klären, was wirklich zwischen ihm und der Loyola-Gemeinschaft vor sich ging. Beide Seiten bauten ihren Einfluss aus, insbesondere auf die Bischöfe. Der Ordensmann hielt viele Exerzitien für die Bischöfe ab, und die Schwestern der Loyola-Gemeinschaft übernahmen Posten in der Diözesankurie. Natürlich war der Einfluss der letzteren viel begrenzter.

Viele Menschen sagten mir dieser Tage, dass sie sich an meinen Kommentar nach meiner Rückkehr aus Rom im Jahr 2001 erinnern: „Jetzt werden viele slowenische Priester denken, dass sie unbedingt einen Quadratmeter von Rupniks Mosaik in ihren Kirchen haben müssen, selbst wenn diese barock sind.“

Rupniks Aktivität erreichte einen Höhepunkt, nachdem Johannes Paul II. am 14. November 1999 die Kapelle Redemptoris Mater im Apostolischen Palast eingeweiht hatte. Ein russischer Mosaikkünstler begann, die Kapelle zu dekorieren, so dass eine Wand von ihm und der Rest von Rupnik stammt. Die beiden Techniken und Farben sind nicht vergleichbar. Diese Kapelle war das erste Mal, dass die Idee von Johannes Paul II. von den beiden europäischen Lungenflügeln, dem Westen und dem Osten, in einem Kunstwerk umgesetzt wurde.

Hinzu kommt die enge Verbindung zwischen dem tschechischen Jesuitenkardinal Špidlík und Rupnik, und es ist klar, dass sich die ganze Welt für Rupniks Mosaikschule öffnete. Špidlík starb ein Jahr später. Viele Leute sagten mir in diesen Tagen, dass sie sich an meinen Kommentar nach meiner Rückkehr aus Rom im Jahr 2001 erinnern: „Jetzt werden viele slowenische Priester denken, dass sie unbedingt auch einen Quadratmeter von Rupniks Mosaik in ihren Kirchen haben müssen, auch wenn diese barock sind.“ Der Aufenthalt in der Pfarrkirche in Pobrežje, deren Innenausstattung von demselben tschechischen Bildhauer Oliva stammt, der zusammen mit Rupnik an der Skulptur der Kapelle Redemptoris Mater gearbeitet hat, hat mir geholfen, kritisch über all dies nachzudenken. In der Kirche in Pobřeře gab es jedoch bereits ein Hindernis für Rupniks Mosaik, nämlich die farbigen Fenster des Malers Jemenka, die sehr abstrakt sind. Bis heute ist die zentrale Wand im Chor dieser Kirche nicht realisiert worden, weder in der Malerei noch in der Bildhauerei. Die Künstler haben sich noch nicht geeinigt. Warum veranschaulicht dies sehr deutlich, was sich abspielte? Rupnik war schon immer ein Mann des Totalen, um nicht zu sagen Totalitären – er selbst würde das vielleicht gemäß der ostkirchlichen Theologie ‚All-Einheit‘ oder ‚die Vereinigung aller‘ nennen..

In seinen theologischen und spirituellen Schriften war er ein ständiger Kritiker von allem Institutionellem, verstärkte jedoch durch seine Spiritualität seinen Einfluss auf die Institution, insbesondere auf Bischofsernennungen.

Sein theologischer und künstlerischer Ansatz verrät uns auch etwas über seine Haltung gegenüber denjenigen, die ihn als geistlichen Vater annahmen. Überall, wo er arbeitete, polarisierte er: Man war ganz für oder ganz gegen ihn, auch in Gorizia, Italien. Im Lichte dieses Totalitarismus ist es auch möglich, seinen Einfluss auf die Kirchenhierarchie zu verstehen. Er pflegte diesen Einfluss systematisch und entwickelte ihn bis zu den Päpsten, mit Ausnahme von Benedikt XVI. Diejenigen, die sagen, dass er der einflussreichste Slowene in Rom war, haben Recht. Ab dem Jahr 2000 war sein Einfluss größer als der des späteren Kardinals Rode.

Doch noch ein weiteres Paradoxon seiner Arbeit tritt zutage. In seinen theologischen und spirituellen Schriften war er ein ständiger Kritiker von allem Institutionellen, ein Kritiker des Amtes als solchen, aber gleichzeitig verstärkte er durch seine Spiritualität seinen Einfluss auf das Amt und sicherlich auch auf die Ernennung von Bischöfen. Interessant dabei: als einflussreiche slowenische Linke dies erkannten, wurde er einer der wenigen Theologen, die sie zu ihren Symposien und Beratungen einluden. Es ist zugleich nur fair, hinzuzufügen, dass er eine Vision der Evangelisierung und der Kirche hatte, die andere nicht hatten oder nicht so gut artikulieren konnten. Aus diesem Grund haben ihn viele Bischöfe in ihre Diözesen eingeladen, um der Kirche von heute neue und andere Wege zu eröffnen. Für viele Laien war seine Theologie eine befreiende Antwort auf die zeitgenössischen pastoralen Probleme, die mit der menschlichen Unreife des Personals und den Gewohnheiten und Bräuchen zusammenhängen, die längst von der industriellen und technologischen Kultur überholt worden waren.

Können wir hoffen und glauben, dass wegen der objektiven Verantwortung auch im Jesuitenorden, der Römischen Kurie und anderswo Köpfe rollen werden?

Rupniks Einfluss war enorm, von der Kunst über das theologische Denken und die Spiritualität bis hin zur pastoralen Vision und der Personalpolitik, sowohl im Vatikan als auch in bestimmten Diözesen, nicht zuletzt in Slowenien. Deshalb habe ich zu Beginn geschrieben, dass der Protagonist nicht irgendwer ist. Wir kennen mehrere Beispiele von charismatischen Führern nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die als Sexualstraftäter identifiziert wurden, aber keiner von ihnen hatte einen so großen globalen Einfluss. Aus dieser Perspektive ist es umso fataler, warum niemand eine Lösung des Konflikts zwischen Rupnik und den Loyola-Schwestern gefordert hat. Hier steht eine viel fatalere objektive Verantwortung auf dem Spiel als im Fall des Finanzskandals im Bistum Maribor, der zur Absetzung von Bischöfen geführt hat. Können wir hoffen und glauben, dass wegen der objektiven Verantwortung auch im Jesuitenorden, der Römischen Kurie und anderswo Köpfe rollen werden?

Wenn wir nun von diesem weltkirchlichen Zusammenhang auf die Ebene derjenigen zurückkehren, die die direkten Geschädigten sind, d.h. einige der Schwestern oder ehemaligen Schwestern der Loyola-Gemeinschaft, kommen wir zu den katastrophalen Folgen für ihr persönliches Leben und die Entscheidungen, die sie vor Jahrzehnten getroffen haben. Es ist nicht eigens notwendig, ausführlicher über die tiefen Verwundungen und die Stigmatisierungen derjenigen zu reden, die von verschiedenen Vorgesetzten persönlich missbraucht und in der Tat seit den 1990er Jahren systematisch missverstanden worden sind. Diese Schwestern haben jahrzehntelang vor der Öffentlichkeit geschwiegen, weil sie der Kirche als Ganzes nicht schaden wollten. Während sie auf die Heilung ihrer Wunden hofften, sahen sie, wie der Verursacher ihrer Wunden die Wunden Christi zeichnete und mit ihnen die größten Heiligtümer der Welt eroberte. Es ist gut und eigentlich erstaunlich, dass keine von ihnen in den Wahnsinn getrieben wurde! In diesem sinnlosen Paradox zu überleben ist weder Heldentum noch Heiligkeit, sondern Martyrium. Drei Jahrzehnte lang haben die Schwestern zwischen dem Amboss des sexuellen, psychischen und spirituellen Missbrauchs und dem Hammer des Weltruhmes gelebt. Das bedeutet, dass sie buchstäblich gegeißelt worden sind. Es ist kein Geheimnis, dass die Loyola-Gemeinschaft in einer Krise steckt, dass die langjährige Leiterin abgesetzt wurde, dass es eine Polarisierung innerhalb der Gemeinschaft gibt und dass einige die Gemeinschaft verlassen haben. Dies wirft die entscheidende Frage auf: was werden diejenigen tun, die von den Problemen wussten und sie nicht angegangen sind, um die persönlichen Schicksale dieser Ordensfrauen angemessen zu würdigen und ihnen dabei zu helfen, einen Sinn in ihren Lebensentscheidungen zu finden, die zu Beginn durch Rupniks geistliche Führung und später durch den Konflikt des Bruchs mit ihrer langjährigen Oberin Hosva bedingt waren.

Ich frage mich: Was wird aus Marko Rupnik als Mensch werden?

Einige haben sich in diesen Tagen gefragt, was aus den Mosaiken von Rupnik werden soll. Das ist gar nicht die entscheidende Frage. Aus der Kunstgeschichte wissen wir, dass das, was zu einer bestimmten Zeit am beliebtesten war, danach oft keinen bleibenden Wert mehr hatte. Wenn sich jeder Künstler dessen bewusst wäre, würden viele sich weitaus weniger überheblich gebärden.

Aber ich frage mich: Was wird aus Marko Rupnik als Mensch werden? Was bei der Glaubenskongregation geschah, nämlich dass er für eine relativ kurze Zeit exkommuniziert wurde und nach Beichte und Buße von dieser Strafe befreit wurde, war in keiner Weise eine Antwort oder Genugtuung für die Opfer. Sie erhielten keinerlei Sühneleistung durch diese Tat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies einer der Gründe ist, warum eine Ordensfrau sich als Erste öffentlich geäußert hat. Jetzt, da alles offenkundig ist, ist die einzig angemessene Reaktion auf die Situation ein öffentliches Verfahren. Die Opfer sollten sagen, wie sie ihre und Rupniks Zukunft sehen und sich vorstellen. Nur sie können ihm „Absolution“ erteilen und Buße auferlegen. Die Versöhnung mit all ihren spirituellen, psychologischen, materiellen und institutionellen Implikationen ist der christliche Weg, um dieses Problem zu lösen, das bei weitem nicht nur das von Rupnik und den ehemaligen und jetzigen Schwestern der Gemeinschaft von Loyola ist. Es ist ein Problem für uns alle, für die katholische Kirche als Ganzes, von Papst Franziskus bis hin zur letzten anonymen Anna, die in gutem Glauben der Spiritualität des Marko Rupnik gefolgt ist. Wenn die Beziehung zwischen Rupnik und den Schwestern der Loyola-Gemeinschaft geheilt ist, wird die Weltkirche und Ortskirche an dieser Stelle Heilung erfahren. Wir könnten dies eine sanatio in radice nennen.

Wie wir alle berufen sind, Blinde zu heilen

Markus 10,46-52

Liebe Schwestern und Brüder,

da predigt nun also ein Blinder über eine Blindenheilung. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich heute nicht vor einer Versammlung des Katholischen Blindenwerks predige. Denn die Bartimäus-Geschichte ist eine jener Erzählungen aus den Evangelien, die in der Blinden-Community heutzutage umstritten sind. Blindenheilung? Heilen? Wieso? Ich bin doch nicht krank, ich muss doch gar nicht geheilt werden! Ich seh‘ halt nix! Das sagen viele Geburtsblinde. Heilen? Ja, schön und gut, eine Wundergeschichte von vor 2000 Jahren, was hat die mit meinem Leben zu tun? fragt sich manch ein kürzlich erst erblindeter Mensch (das sind ja die meisten, im Alter erst erblindet), und schaltet innerlich ab oder hält das Ganze für entweder Vertröstung oder reines Gleichnis.

Ja, so kann man das ‚sehen‘. zu den erstgenannten, der kleinen Minderheit der Geburtsblinden, gehöre ich; die Blindheit ist nicht durch eine Erkrankung im Laufe des Lebens bei mir dazugekommen, sondern ich lebe schon immer mit ihr. „Rabbuni, ich möchte wieder sehen können“, mir selbst ist dieses Herzensanliegen aus eigenem Erleben nicht vertraut. Sehen, das kenne ich nicht, vermisse ich nicht. Dennoch müssten Blindenheilungen aus meiner Sicht gar nicht umstritten sein in der Blinden-Szene, denn es ist ja eine gute Nachricht, dass Jesus sich einem Menschen heilend zuwendet und jeder braucht diese Zuwendung. – Und doch frage ich mich: Ist es überhaupt eine Blindenheilung, die hier erzählt wird?

Aus dem Zusammenhang geht hervor, dass der blinde Bartimäus hier eine Kontrastfigur ist: Die Jünger sind körperlich sehend, haben keine Behinderung. Sie kapieren aber nicht so richtig, was Jesus sagen will mit dem Wort „Nachfolge“, sein Kreuz auf sich nehmen. Bartimäus hingegen ist blind. Heute noch verbindet man gern damit die Wahrnehmung: naja, der sieht das nicht, dem fehlt gewissermaßen der Durchblick oder Überblick. Aber genau dieser Bartimäus sieht anscheinend tiefer, vor der Heilung schon, als Blinder; und dann „folgte er Jesus auf dem Weg“, nachdem er geheilt worden ist. Interessant ist, dass Bartimäus die absolute Hauptperson in dieser Erzählung ist. Jesus kommt gerade so viel vor wie nötig, die Geschichte wird ganz von Bartimäus her geschildert: Er muss rufen, noch lauter schreien, als man ihn zum Schweigen bringen will, er muss zu Jesus hingehen, gerade er, der Blinde, nicht Jesus zu ihm; er muss Jesus laut und deutlich sagen, was er von Ihm will. Und auch die Heilung wird nicht im Einzelnen geschildert, sondern nur festgestellt als Frucht des Vertrauens oder Glaubens des Bartimäus.

Nun ist er geheilt, kann „wieder sehen“. Nehmen wir den griechischen Originaltext zur Hand, steht die Bitte des Bartimäus wörtlich in etwa so da. „Rabuni, ich möchte aufblicken, emporblicken können.“ Das kann einfach ‚wieder sehen‘ heißen, aber auch: Ich möchte mich wieder raus sehen aus meiner derzeitigen, trostlosen Lebenslage. Als er dann Jesus folgt, muss er dann sogar der Realität des Kreuzes ins Auge sehen. Zum echten Sehen gehört auch das.

Schön und gut: Der körperlich Blinde in der Geschichte sieht mehr als die vordergründig normal Sehenden. Aber was heißt das für uns, für heute? Die Kirche bittet in einem ihrer Hochgebete: Lass uns handeln nach dem Wort und Beispiel Christi. Nun sollen wir also: wie Christus auch Blinde heilen? Ja, auf jeden Fall! Nicht nur Blinde, jedenfalls nicht einfach nur wörtlich.

Als ich vor Jahren an einem Bildungszentrum für blinde Menschen in Nürnberg arbeitete, lernte ich eine Frau als Kursteilnehmerin kennen, die erst ein Jahr blind war. Eine fröhliche Frau, mit herzlichem, ansteckendem Lachen. Das heißt: Als ich sie kennenlernte, war sie fröhlich und steckte uns mit ihrem herzlichen Lachen an. Aber noch ein paar Monate zuvor war das nicht so. Sie hatte eine Sehbehinderung und man versprach ihr, durch ein, zwei harmlose Augenoperationen könne sie dann fast normal sehen. Tatsächlich zerstörten dann im Laufe weniger Tage drei Operationen jegliches Sehvermögen. Innerhalb weniger Tage war sie nicht sehbehindert, sondern absolut blind. Sie hatte das Gefühl, buchstäblich für immer und ewig in der Finsternis zu sitzen. Lebenssinn sah sie keinen. Eine blindentechnische Weiterbildung wurde ihr verordnet, Lernen mit dem Computer umzugehen, Blindenschrift erlernen usw. Das tat sie alles widerwillig, aber sie wusste nicht mehr, wofür es sich zu leben lohnt. Eine ganz typische Reaktion. Eine meiner Kolleginnen blieb hartnäckig, wollte und konnte nicht zuschauen, wie sich die kürzlich erblindete Frau zurückzog, abkapselte und wie sie sich völlig gehen ließ. Sie hat ihr immer wieder Beispiele erzählt von blinden Menschen, die voll im Leben stehen, Familie haben, interessanten Berufen nachgehen, und sie sagte immer wieder: Komm, verlier nicht zu viel Zeit – ich glaub dir schon, Blindsein ist nichts Tolles, aber mach was aus deinem Leben! Sie ging der erblindeten Frau sozusagen so lange auf die Nerven, bis die sich sagte: Na gut, dann probier‘ ich‘s halt. Wie gesagt: Längst ist sie aktiv geworden, fröhlich, kann „emporblicken“. Körperlich blind wird sie bleiben, aber sie sieht sich längst nicht mehr eingesperrt ins dunkle Verlies, sondern ist viel unterwegs, arbeitet wieder als Musiklehrerin.

Und sie berät wiederum selbst erblindete Menschen.

Was meine Kollegin gemacht hat, unterscheidet sich von dem, wie Jesus mit Bartimäus umging. Der kam ja von sich aus und wollte sich nicht abfinden mit dem trostlosen Leben, wie es war. Meine Kollegin ging der erblindeten Frau nach; ich möchte nicht sagen: drängte sich auf, aber war doch sehr offensiv. Das ist sicher eine Gratwanderung, wie weit man hier gehen darf.

Trostlose Lebensverhältnisse, wie sie in der Bartimäus-Geschichte beispielhaft geschildert werden oder wie sie die erblindete Frau erlebt hat, gibt es viele um uns herum. Ob Behinderung, Armut, fehlender Sinn im Leben, also so eine Art geistliche Leere und Sehnsucht nach mehr: Jesus ermutigt uns, dass wir uns aufsuchen lassen, offen sind dafür; und dass wir genau das sagen und tun, was die Mitmenschen brauchen.

Blindenheilung? Ja, so verstanden, gibt es viele Gelegenheiten, wie wir einander „wieder sehend machen“ können.

Schauen wir uns um, fangen wir an.

Jetzt.

Jesus, der Pädagoge

Jesus, der Pädagoge

28. Sonntag im Jahreskreis 2021
Jesus – der Pädagoge des Reiches Gottes

Heute erleben wir Jesus als den Pädagogen. Die zwölf Apostel und andere, die Christus nachfolgen, heißen im Deutschen „Jünger“. In anderen Sprachen, dem griechischen Urtext der Evangelien und in den meisten anderen Sprachen: Schüler; wir die Schüler, Jesus der Meister, der Lehrer. Und wie Jesus auch sonst erstaunlich modern, zeitlos mit den Menschen umgeht, so geht er zugleich so mit den Menschen um, dass sie das zeitbedingt verstehen, mitgehen können, wenn sie wollen. Das Gespräch zwischen dem reichen jungen Mann und Jesus ist ein ganz typisches Lehrer-Schüler-AnbahnungsGespräch jener Zeit: Da will einer bei Jesus in die Schule gehen, die Lebens-Schule, und fragt, was er dafür tun muss, was die Zugangsvoraussetzungen sind und was Jesu pädagogisches Programm ist. Und Jesus, wie das ein guter Lehrer, eine gute Lehrerin macht, motiviert ihn, die Antwort doch selbst herauszufinden: „Du kennst doch die Gebote!“ Überleg mal! Du kommst doch selbst auf die Antwort! Jesus aktiviert hier die eigenen Ressourcen in dem, der Schüler werden will. So macht man das, das war damals so, das ist heute in der Pädagogik so. Lehrkräfte liefern nicht einfach Wissen, sondern zeigen denen, die „in die Schule gehen“, wie man darauf kommt, wie man es entwickelt, wie man zum Endergebnis gelangt.

Anspruchsvolles Lernziel

Und das Endergebnis hier im konkreten Fall: Das Lernziel wird leider nicht erreicht; besser gesagt: Der, der da in die Schule gehen will bei Jesus, traut sich nicht, das Lernziel zu erreichen. Hat das sichere Gefühl, dass er dafür sein Leben ändern, neu ausrichten müsste. „Du kennst doch die Gebote!“ hatte Jesus gesagt. Ja, die kennt der junge Mann, hat sie eingehalten, sagt er; hat das Gesetz befolgt. Gehen wir davon aus, das stimmt. Warum reicht das Jesus nicht? Nun: Jesus will darauf hinaus, dass es keine Privatveranstaltung ist, dieses Halten der Gebote. Es reicht nicht, dann Bilanz ziehen zu können vor Gott und zu sagen: Schau her, die Gebote habe ich zu soundso viel Prozent schon mal eingehalten. Das reicht Jesus nicht.

Ist Reichtum das Problem?

Es geht auch nicht darum, dass der Reichtum ‚böse‘ sei. Die Lesungen der letzten Wochen enthalten viel drastische Kritik am Reichtum. Die griechischen Kirchenväter der ersten Jahrhunderte nach Christus nannten Geld schon mal gern ‚Mist des Teufels‘. Aber – und hier ist Jesus auch ganz realistischer Pädagoge Gottes – nicht schon die Tatsache, dass jemand reich ist, ist an und für sich schlecht. Reichtum, für sich genommen, ist nicht schon böse; aber er ist gefährlich. Mit Besitz, mit Vermögen kann man jede Menge Gutes tun, kann helfen, es sich natürlich auch selbst mal gutgehen lassen, aber eben das Vermögen in den Dienst der Menschen stellen. Was Jesus hier ganz realistisch, dramatisch und wohl völlig zurecht beklagt, die Welt ist ja voll von Beispielen: Reichtum hat eine unglaubliche Anziehungskraft. Reichtum kann das Herz des Menschen total in Besitz nehmen. Da hat der Reiche dann Kopf und Herz nur voll vom Gedanken: Wie schaffe ich es, dass aus meinen hundert Millionen hundertzehn werden usw., es wird zum Selbstzweck, und der Reiche gerät in einen Sog, tut unheilvolle Dinge für kleinste Erfolge im Streben nach noch mehr Besitz.

Kamel und Nadelöhr?

Man muss gar nicht versuchen, diese Rede von Kamel und Nadelöhr irgendwie weg-zu-erklären oder als vermeintlichen Übersetzungsfehler zu verharmlosen. Denn ein sinnloses Unternehmen mit dem Versuch eines Elefanten zu vergleichen, durch ein Nadelöhr zu kommen, das war im Orient ein gängiger Vergleich; darauf bezieht sich Jesus, verständlich für alle. Denn genau so, in der Überspitzung, verstehen wir doch alle, was gemeint ist: Wer sich von was auch immer – Reichtum, Macht irgendwelcher Art – so total in Besitz nehmen lässt, für den ist es schier unmöglich, wieder ‚gemeinschaftsfähig‘ und -willig zu werden: in Beziehung treten zu können und zu wollen mit Gott und den Menschen.

Es gibt viele Beispiele, wie ein Reicher, der nur noch Karriere, Macht oder Geld hinterherrennt, davon loskommt nur durch eine schreckliche Notbremse: einen Unfall im eigenen Leben oder eines Angehörigen oder ähnliches. Das wünscht man keinem, wahrlich nicht. Aber es zeigt, was oft passieren muss, damit ein Reicher, ein Erfolgreicher in der Logik der Welt, hier wieder loskommt.

Eben keine Drohbotschaft

Jesus, der Pädagoge des Reiches Gottes, will uns nicht Angst machen. Auch der Evangelist will uns nicht Angst machen. Es ist anspruchsvoll, was der Lehrer hier will: mutig Reichtum oder Macht in die Schranken weisen; Macht und Reichtum beherrschen statt sich davon beherrschen zu lassen, weil das, das wir dadurch von Gott und den Menschen bekommen, viel größer ist, viel erfüllender, viel heilsamer – für mich selbst und die Menschen um mich herum – das will er mir, uns allen, auf den Weg geben. Wagen auch wir es, bei Jesus in die Schule zu gehen. Jede gute Schule ist anspruchsvoll, diese besonders; es lohnt sich.

Amen.

Hermann von Reichenau als GegenbeispielHermann von Reichenau als Gegenbeispiel

Die Kirche gedenkt heute des sel. Hermann von Altshausen / Hermann von Reichenau („Hermann der Lahme“) (1013/1054). Eine kurze Web-Recherche genügt, um Schlagwörter wie „bedeutender Wissenschaftler und Komponist des Mittelalters“ zu finden. Dabei war Hermann körperbehindert.

Heutigem ‚Verständnis‘ nach kann das doch gar nicht sein: finsteres Mittelalter und so. Tatsächlich wirft es ein Schlaglicht darauf, wie das Mittelalter wirklich gewesen sein kann. Behindertenfeindlich jedenfalls war es vielleicht höchstens so sehr wie unsere heutige angeblich so aufgeklärte und inklusionsbetonte Epoche. Wie aufgeklärt sie ist, zeigt ja die verstörend große Menge an Mythen und Märchen, denen Menschen heute in Bezug auf Covid-19 lieber Glauben schenken als den Ergebnissen von Wissenschaft und Forschung. Und was Inklusion angeht: Behinderte Menschen werden (vielleicht) ‚inkludiert‘, wenn sie denn zur Welt kommen dürfen und nicht mit pseudo-humanitären Begründungen vorgeburtlich am Leben gehindert werden.

Hermann jedenfalls hatte seinen Platz in der Welt der Gelehrten jener Zeit. Behindertenfeindlich waren und sind viele Christen. Das Christentum selbst, seine DNA, das Evangelium, sind es definitiv nicht. Behinderte Menschen waren und sind niemals nur Objekte der Pastoral gewesen. Sie waren und sind es viel zu oft, das liegt jedoch nicht an der Lehre der Kirche oder der Bibel, sondern daran, dass wir alle mehr oder weniger ‚geistlich behindert‘ sind und es uns an Erkenntnis fehlt. Christen mit Behinderung waren und sind aktive Glieder der Kirche: Apostel ihrer Zeit.

Hermann von Reichenau, Dichter des „Salve Regina“: Bitte für uns.

Hermann von Reichenau als GegenbeispielHermann von Reichenau als Gegenbeispiel

27. April: Ein Ideenfest in Slowenien

Religionskritiker haben mehrmals im Jahr allen Grund zu sagen, es gebe Feiertage für Dinge, die doch gar nicht existieren. Menschen, die nicht an Gott glauben, freuen sich etwa an Fronleichnam einfach über einen freien Tag und wundern sich vielleicht, dass im 21. Jahrhundert das ‚Gottesgerücht‘ immer noch den Kalender prägt.

Doch ‚Ideenfeste‘, also Feiertage, an denen eine Glaubenswahrheit geehrt wird, kennt auch der säkulare Staat. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn interessierte Kreise an einem Mythos festhalten. In Slowenien ist heute so ein Tag.

Der 27. April ist „Tag des Widerstandes gegen den Besatzer“. Für Außenstehende klingt das so, als würden in Slowenien alle geehrt, die sich im April 1941 gegen die deutschen und italienischen Besatzer erhoben haben. Doch die Dinge sind komplizierter. Was heute gefeiert wird, basiert – so könnten wir heute sagen – auf Fakenews.

Fakenews entfalten oft dadurch ihre besondere Wirkung, dass es nicht einfach falsch ist, was da behauptet wird, sondern dass wir es mit Halbwahrheiten zu tun haben. Am 27. April, genauer: einen Tag zuvor, wurde tatsächlich ein Akt gesetzt. Am 26.04.1941 spät abends wurde konspirativ in Ljubljana die „Antiimperialistische Befreiungsfront des slowenischen Volkes“ gegründet. Wenige Wochen zuvor hatten italienische Truppen Ljubljana und einen Teil Sloweniens besetzt, in den anderen Teil waren deutsche Verbände einmarschiert. Zwischen dem 6. Und 17. April 1941 war Jugoslawien blitzartig zerschlagen und zur Kapitulation gezwungen worden. Doch die „Antiimperialistische Befreiungsfront“, die da am 26. April 1941 im italienisch besetzten Ljubljana gegründet wurde: Gegen wen richtete sie sich?

Zu diesem Zeitpunkt hielten sich die moskautreuen Kommunisten, die Dominierenden in der „Front“, strikt an den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, besser bekannt als Hitler-Stalin-Pakt, vom August 1939. Es trifft also mitnichten zu, dass hier der antifaschistische Widerstand seinen Anfang nahm. Rein politische und taktische Erwägungen ließen die slowenischen Kommunisten stillhalten gegenüber den italienischen und vor allem deutschen Besatzern. Die Front richtete sich gegen das ‚alte‘ Jugoslawien, die Königstreuen, den Westen. Die Front war von Anfang an revolutionär ausgerichtet gegen politische Feinde im Innern. Der 26. oder 27. April ist damit der Beginn nicht etwa des Aufstandes gegen den Besatzer, sondern der Beginn des slowenischen Bürgerkriegs, der, genaugenommen, nie offiziell oder durch entsprechende Akte der Versöhnung aufgehört hat.

Erst im Juni 1941 mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion kam der heute so sehr hervorgehobene Aspekt überhaupt hinzu. Jetzt erst war es für die Kommunisten legitim, gegen das Nazi-Regime zu kämpfen. Die ersten Opfer der „Antiimperialistischen Befreiungsfront“ ab April 1941 waren Gegner einer kommunistisch dominierten revolutionären Bewegung: Bürger, Bauern, Geistliche vor allem. Sie blieben Zielscheibe hinterhältiger und brutaler Angriffe bis Kriegsende und Opfer von Schauprozessen oder Massenerschießungen nach dem 8. Mai 1945.

Wer die Macht hat, hat die Deutungsmacht über die Geschichte. So wurde nach 1945 der 27. April zum Initial-Tag des Aufstandes gegen Hitlerdeutschland verklärt. Dass der 27. April immer noch gesetzlicher Feiertag ist, ist der bis heute konservierten, einheitsstiftenden Partisanen-Ideologie geschuldet.

Erst muss wohl der politisch-ideologische Permafrost auftauen. Erst muss das Ausmaß der durch Titos Bewegung verübten Verbrechen ideologiefrei von allen anerkannt werden. Dann erst könnte man dieses heutige jugo-kommunistische Ideenfest wenn schon nicht abschaffen, so doch möglicherweise in Richtung ‚Versöhnung‘ umdeuten und für alle Seiten des latent in Slowenien bis heute andauernden Bürgerkriegs fruchtbar machen.

Der wundersame Wandel des slowenischen Europa-Bildes

Zwischen „Dienern Brüssels“ und „einer Diebesbande“

Von Rok Čakš – 28. März 2021 um 20:5526

Übersetzt aus dem Slowenischen und leicht modifiziert von Aleksander Pavkovič

„Slowenien ist Brüssel absolut nichts schuldig. Wir haben unsere Freiheit und Demokratie vor 30 Jahren gewonnen. Wir kämpfen und zahlen seit 35 Jahren den Preis für Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit, für Menschenrechte und Grundfreiheiten. Wir lassen uns also nicht von mit unserem Geld überbezahlten Bürokraten, die in den Wohlstand hineingeboren wurden, über Freiheit und Demokratie belehren.“

Diese Art von Vokabular ist uns in Slowenien nicht unbekannt, wenn es um die Europäische Union geht. Von der Notwendigkeit, aufrecht zu stehen, Rückgrat zu zeigen und keinen Kotau vor Brüssel zu machen, hören wir in Slowenien seit dem EU-Beitritt und auch schon davor. Besonders während der letzten Wirtschaftskrise, als die EU uns (für damalige Verhältnisse) billiges Geld im Austausch für dringende Strukturreformen anbot, die unser Land „europäischer“ machen sollten. Als die Linke wieder an die Macht kam, weigerte sie sich natürlich, dies um den Preis von Killerzinsen für die Kreditaufnahme auf den internationalen Märkten zu tun.

Aber es ist interessant zu beobachten, wie sehr es sich verändert hat, wer in Slowenien solche Botschaften der Zurückhaltung gegenüber Europa verkündet. Vor einem Jahrzehnt kamen sie fast ausschließlich aus linken Kreisen, vielleicht am besten symbolisiert durch die berüchtigte Feier der erneuten Machtübernahme der Linken in Slowenien im April 2013. Damals war die Konzerthalle in Stožice vollbesetzt mit Menschen, die mit den (damaligen und ehemaligen) Präsidenten Danilo Türk und Milan Kučan und der frisch vereidigten Premierministerin Alenka Bratušek an der Spitze Refrains wie „Europa ist eine Diebesbande“ skandierten.

Heute jedoch war es Janez Janša, Premierminister der Mitte-Rechts-Koalition, der diese eingangs zitierten harten Worte an die gesellschaftspolitischen Hauptakteure der Europäischen Union richtete –Janša, erster Mann einer politischen Option, die in den letzten Jahrzehnten als die pro-europäischere galt und der von ihren linken Konkurrenten ständig vorgeworfen wurde, sie sei zu demütig, zu gehorsam, zu unterwürfig … gegenüber eben diesem Europa.

Der Wandel

Doch das ist nicht die einzige große Veränderung, die sich in letzter Zeit in Slowenien immer deutlicher abzeichnet. War es bis vor kurzem die slowenische Rechte, die als prowestlich, antirussisch und was nicht alles galt, so scheint es nun, dass die „imperialistischen, kolonialen Mächte“, wie man sie hier und da bei der Linken immer noch nennt, zunehmend von der slowenischen Linken als gute Beispiele genannt werden. Über Nacht wurden die Linken zu großen Bewunderern Amerikas und Befürwortern des Exports seiner Konzepte von Demokratie und Menschenrechten (Gleichberechtigung, LGBT+ usw.) in die ganze Welt, während sie gleichzeitig zu immer lauteren Kritikern der russischen und sogar der chinesischen Autokratien wurden, über die, Gott bewahre, bis vor kurzem nichts Schlechtes von der Linken zu hören war.

Gegen das meiste davon ist natürlich nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil. Aber die Transformation ist ein interessantes Phänomen, vor allem im Zusammenhang mit den Ergebnissen einer Domovina-Umfrage vom letzten August, bei der zum Beispiel die Anhänger linker Parteien sowohl Russland als auch China den USA vorzogen, und interessanterweise auch Serbien. Die NATO, die jetzt von dem auf der linken Seite des politischen Spektrums so verehrten Joe Biden gestärkt wird, wurde zum Beispiel nur von 40 % der Wähler der linken Option unterstützt.

Doch das ist wohl eher ein Thema für einen anderen Artikel. Heute scheint es, dass alles, was von der Europäischen Union (oder genauer gesagt – von ihrem zentralen, d.h. „kolonialen“ Teil) nach Slowenien kommt, von der slowenischen politischen Linken für pures Gold gehalten wird, während die dominante Rechte, verkörpert durch die Partei SDS, immer skeptischer gegenüber vielem davon wird. Vor nicht allzu langer Zeit wäre Janšas Botschaft in der Einleitung (wenn sie von jemand anderem – sagen wir vom Ex-Regierungschef Šarec – vorgetragen worden wäre) von der Linken lautstark beklatscht und als aufrechte Haltung eines Politikers verstanden worden, der sich weigert, sich Brüssel unterzuordnen. Heute jedoch sprechen sie von der großen Schande, die unser Premier Janez Janša Slowenien in Brüssel antut.

Gestörte Kommunikation mit Europa

Damit soll keineswegs das Verhalten des Ministerpräsidenten bei der Sitzung der Demokratiebeobachtungsgruppe des Europaparlaments verteidigt werden, wo Janez Janša vorgeladen wurde, um sich gegen Vorwürfe der Einmischung in die Medienfreiheit und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.

Die bloße Tatsache, dass unser Regierungschef von den überwiegend linksliberalen Politikern aus den Kernländern, angeführt von der Niederländerin Sophie in’t Veld, gelinde gesagt herablassend behandelt wurde und dass die Vorsitzende, Frau in’t Veld, sich – mit Argumenten, die sich später als falsch herausstellen sollten – weigerte, ihm zu erlauben, das von ihm vorbereitete Video zu zeigen, rechtfertigt Janšas Verhalten nicht. Gemeint ist sein stures Festhalten an seinem Standpunkt, wie wir es hier in Slowenien durchaus gewohnt sind, das aber auf dem Boden des Europäischen Parlaments nicht üblich ist. Man könnte ihm für seine aufrechte Haltung Anerkennung zollen, doch der Preis ist wohl zu hoch. Janšas Reaktion wird weithin als Flucht eines Menschen vor der Debatte interpretiert, der Angst hat, sich den Argumenten zu stellen. Dieser Auftritt fügte dem Ruf Sloweniens und vor allem dem Verständnis dessen, was hier tatsächlich geschieht, schweren Schaden zu.

Hinzu kommt, dass der Verbindungsabbruch wieder einmal Wasser auf die Mühlen derer ist, die ihr schmutziges innenpolitisches Spiel auf fremdem Parkett spielen. Und das, auch dank Janša selbst, mit zunehmendem Erfolg. Trotz aller Überlegenheit, die die politische Linke auf praktisch allen relevanten innenpolitischen Ebenen genießt (die sie aber derzeit nicht in konkret ausgeübte exekutive Macht umzusetzen vermag), stellen sich die Linken nun im Ausland erfolgreich als Opfer eines rechten Autokraten dar, lautstark verbreitet durch einflussreiche Medien, für die das alles plausibel zu sein scheint.

Wer oder was ändert sich?

Trotz allem ist dieser schmutzige und schädliche Export von innenpolitischem Unfug in die internationale Arena auf Dauer nicht so beachtenswert. Interessanter ist vielmehr das Phänomen des Wandels der Einstellung zum Weltgeschehen und dem Treiben der globalen Führungsmächte, , dessen Zeugen wir offenbar sind.

Wenn wir die Gründe für diesen Wandel verstanden haben, kann uns das viel über die Trends und Strömungen verraten, die auf globaler Ebene stattfinden, und wie sich Slowenien in diese einfügt. Die wesentliche Frage, auf die wir eine Antwort brauchen, um die globalen und lokalen Entwicklungen zu verstehen, ist, wer sich eigentlich verändert: Sind es die slowenische Linke und Rechte, sind es die internationalen Akteure, oder verändern sich alle, also sowohl die Ersteren als auch die Letzteren?

Erst wenn wir dies verstanden haben, geht es um die Frage, ob die Veränderungen in eine positive oder negative Richtung gehen, und dann um die Suche nach einem Konsens darüber, in was für einem zukünftigen Slowenien und in was für einer Welt wir leben wollen. In der Domovina haben wir bereits damit begonnen, in unserem Projekt „Dialogos – über die Werte der Zukunft“ – nach Antworten zu suchen, indem wir Menschen mit unterschiedlichen Denkweisen, Ansichten und Überzeugungen dazu befragen.

Link zum Originalartikel:

Med „bruseljskimi hlapci“ in „bando tatov“ – Domovina

Benedikt-Bashing: vorschnelle Reaktionen auf einen verstörenden Text

Erst die Überraschung, dann die zu erwartende, einhellige Antwort darauf aus einer breiten Öffentlichkeit.
Am Donnerstagmorgen postete das Nachrichtenportal kath.net als „Breaking News“: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. äußert sich zu Ursachen des Kindesmissbrauchs in der Kirche. Die Äußerung erfolgte in Form eines Aufsatzes fürs Bayerische Klerusblatt.
Wer Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. und seine Wortmeldungen gut kennt, konnte sich evtl. bereits bei dieser Schlagzeile in etwa vorstellen, was da zu lesen sein würde: Abwesenheit Gottes als Ursache der tiefen Krise; Abkehr von der Moraltheologie und insbesondere vom Grundsatz, es gebe in sich (unter allen Umständen) schlechte Handlungen; hier aber vor allem: Übersexualisierung bis hinein in kirchliche Kreise. Und wahrlich: Dies alles findet sich in Benedikts XVI. Aufsatz. Er enthält in mehrerlei Hinsicht verstörende Passagen, wovon noch zu reden sein wird.
Zugegeben: Als erste Reaktion twitterte ich, ich sei aus philologischer Sicht skeptisch. Schreibt hier wirklich Benedikt XVI. oder ein kundiger Schüler? Liegt mithin ein Text vor, den man deutero-ratzingerianisch nennen könnte? Denn manches erschien in seiner Wortwahl beim ersten Querlesen allzu erwartbar, etwas dick aufgetragen vielleicht, irgendwie zu sehr typisch Benedikt XVI. Doch dieser erste Zweifel darf als ausgeräumt gelten. Wir haben es mit einem Text zu tun, den Benedikt XVI. kurz vor seinem 92. Geburtstag eigenhändig, wohl ausschließlich auf eigene Initiative verfasst hat. Veröffentlicht hat er ihn, wie es heißt, mit Zustimmung von Papst Franziskus. Weiterlesen

Digitale Barrierefreiheit nur links der Mitte?

Seit November 2012 bin ich auf Twitter aktiv. Von Anfang an bemühe ich mich, ein breites Spektrum von Accunts im Blick zu haben und nicht etwa nur sog. konservativen Katholiken zu folgen. Dabei fällt mir seit Jahren auf, dass es gerade diese sind, die es mir – unbeabsichtigt, sicherlich – schwer machen, ihre inhalte überhaupt wahrzunehmen. Vereinfacht gesagt. Inhalte aus dem ‚rechten‘ sowie dem traditionsbetonten christlichen Spektrum sind viel seltener technisch barrierefrei. Weiterlesen