Der Mensch mit Behinderung in Amoris Laetitia

Kurzmitteilung

Leider ist das päpstliche nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia fast schon vollständig in Vergessenheit geraten. Vereinzelt ist Kritik zu hören, z. B. von Robert Spaemann; er fürchtet vollständiges Abgleiten in eine reine Situationsethik und fragt sich, wo da noch Petrus, der Fels, bleibe.
Man mag hier in der Tat unterschiedlicher Meinung sein, dazu kommen wir vielleicht noch demnächst hier in diesem Blog. Mein Anliegen heute ist jedoch ein Thema, das mit Sicherheit kaum je irgendwo in den Blick kommt: die Rolle des behinderten Menschen in der Familie oder die Rolle der Familie für Menschen mit Behinderung.
Mit Spannung und einer gewissen Hoffnung erwartete ich Aussagen hierzu, zumal ich im Namen und Auftrag der Internationalen Föderation Katholischer Blindenvereinigungen, http://www.fidaca.org, einen Text verfasst habe: der Mensch mit Behinderung als aktives Familienmitglied. Daher durchsuchte ich denn auch, damit über die ausdrückliche Mahnung des Papstes zum Lesen von Amoris Laetitia mich hinwegsetzend, den Text gleich nach dessen Erscheinen nach entsprechenden Stellen.
Das Ergebnis ist vordergründig eine Enttäuschung. Laut Nr. 47 und 82 von Amoris Laetitia sind Menschen mit Behinderung für Familien ein Geschenk; eine Prüfung gewiss; eine Bereicherung; eine Gabe und Aufgabe, deren Annahme Respekt abnötigt.
Nun: Als geburtsblinder Mensch, aktiv in der Selbsthilfe, Ehemann einer ebenfalls geburtsblinden Frau, genügt mir das nicht ganz. Behinderte Menschen sind doch nicht nur Objekte barmherziger Zuwendung! Menschen mit Behinderung sind doch nicht bloß Empfänger von Betreuung und liebevoller Aufmerksamkeit!
Doch wie ist die tatsächliche Situation von Menschen mit Behinderung, und zwar weltweit? 90 % der ungeborenen Kinder, die mit einer ‚hohen Wahrscheinlichkeit‘ mit Behinderung zur Welt kommen würden, dürfen nicht leben, werden (oft aus pseudo-humanitären Gründen) abgetrieben. Vielleicht ist es also die sinnvolle Beschränkung auf das Wesentliche, wenn Papst Franziskus zunächst lediglich das Grundsätzliche beim Namen nennt: Auch und gerade Menschen mit Behinderung brauchen das, was jeder Mensch nötig hat: liebende Zuwendung.
Doch wahrscheinlich ist auch, dass Amoris Laetitia, das ja keine Spezialisierungen vornimmt, den Behinderungsbegriff stark verallgemeinert verwendet. Gedacht hat der Verfasser des nachsynodalen Schreibens womöglich nur oder vor allem an schwer mehrfachbehinderte Menschen, nicht so sehr an Personen mit ‚einfachen‘ körperlichen, (leichten) geistigen, Sinnes- oder psychischen Behinderungen.
Und dennoch hoffe ich, dass in Sachen Kirche und behinderte Menschen noch mehr geschieht: Anerkennung, dass Menschen mit Behinderung in ihrer spezifischen Lage auch ihre Gaben einbringen als Ehepartner, Eltern, Verwandte, Tauf- und Firmpaten, aber auch in kirchlichen Diensten als Laien und/oder gottgeweihte Personen. Denn es gibt kein unbegabtes Glied am Leibe Christi, keinen Menschen, der nur empfangen müsste und nichts geben kann, und sei es ’nur‘ große Lebensfreude und Hoffnung da, wo Menschen ohne Behinderung oft große Mühe haben, vom Haben zum Sein voranzuschreiten.